Fachmann über Knollenblätterpilze und Co. »Es kommt sogar vor, dass Erbrochenes geliefert wird«
Tödlich giftig: Grüne Knollenblätterpilze bei einer Ausstellung in Rostock
Foto: Bernd Wüstneck / dpa-Zentralbild / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
SPIEGEL: Herr Fischer, derzeit macht ein spektakulärer Kriminalfall aus Australien Schlagzeilen. Eine 50-Jährige ist zu 33 Jahren Haft verurteilt worden, weil sie vier Menschen mit dem Grünen Knollenblätterpilz vergiftet hat, drei davon starben. Hatten Sie in Ihrer Arbeit schon mal mit diesem Giftpilz zu tun?
Fischer: Tatsächlich noch nicht. Aber man muss immer ganz genau hinsehen, vor allem, wenn man eine Mischpilzmahlzeit untersucht. Das kann eine anstrengende Arbeit sein, tödlich giftige Pilze auszuschließen.
Stefan Fischer ist Pilzsachverständiger der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM). Die Organisation zertifiziert Personen, die in Deutschland über Speise- und Giftpilze infomieren. Auf ihrer Website finden sich auch Tipps, was im Fall einer möglichen Pilzvergiftung zu tun ist.
SPIEGEL: Sie werden gerufen, wenn es in Ihrer Heimatregion im südlichen Sachsen-Anhalt einen Verdacht auf eine Pilzvergiftung gibt. Was genau geschieht dann?
Fischer: Ich lasse mir Putzreste oder Speisereste bringen, manchmal gibt es auch Fotos der Pilze. Das Material kommt dann entweder in einem Tütchen aus dem Krankenhaus oder ein Familienangehöriger bringt vorbei, was noch in der Küche oder im Mülleimer liegt. Und dann versuche ich, den Pilz oder die Pilze zu bestimmen.
SPIEGEL: Ist das nicht unangenehm, im Müll anderer Leute zu suchen?
Fischer: Es kommt sogar vor, dass Erbrochenes geliefert wird. Mir ist das noch nicht passiert, aber Kollegen schon. Aber egal, ob aus dem Müll oder der Verdauung: So dramatisch ist das auch wieder nicht, man kann die Dinge ja so weit abspülen, bis nur noch die Pilzreste übrig sind.
SPIEGEL: Wie oft werden Sie gerufen?
Fischer: Nicht so oft, vielleicht etwa zweimal im Jahr. Das liegt auch daran, dass es bei mir in der Region mehrere Pilzsachverständige gibt und wir uns die Arbeit relativ gut aufteilen können. Aber wenn ein Anruf von einem Krankenhaus oder einem Giftinformationszentrum kommt, dann kann es auch mitten in der Nacht sein.
SPIEGEL: Können Sie von so einem Fall erzählen?
Fischer: Vor Kurzem hat ein Krankenhaus um 12 Uhr in der Nacht angerufen: Wir haben hier einen Patienten mit Magen-Darm-Beschwerden. Die Ehefrau hatte gleich die Pilzmahlzeit im Verdacht, angeblich ging es um Champignons. Zum Glück gab es noch Putzreste, die sie in eine Plastikschachtel gepackt hatte – und die wiederum wurde dann per Taxi zu mir gebracht. Es waren nur die Unterteile der Stiele, aber sie haben ausgereicht: Ich konnte ziemlich sicher sagen, dass es sich um Karbolegerlinge handelt. Die sind giftig, aber nicht tödlich giftig. Der Patient konnte dann am kommenden Tag auch entlassen werden.
SPIEGEL: Wie kompliziert ist denn dieses Puzzlespiel?
Fischer: Das kann schon eine lange und anstrengende Arbeit sein. Wenn es um Vergiftungen geht, ist man auch aufgeregt. Da ist es wichtig, dass man konzentriert und geduldig bleibt.
SPIEGEL: Was sind die häufigsten Pilzvergiftungen?
Fischer: Die meisten Pilzvergiftungen kommen von verdorbenen Pilzen. Das sind dann reine Lebensmittelvergiftungen. Das kommt etwa vor, wenn der riesengroße Steinpilz aus dem Wald geschleppt wird, der schon voller Schimmel ist und verwest. Das sollte man nicht machen, das Eiweiß ist bei solchen Pilzen schon in Zersetzung.
SPIEGEL: Und die gefährlichsten?
Pilzfachmann Stefan Fischer über Grüne Knollenblätterpilze
Fischer: Das sind ganz klar Grüne Knollenblätterpilze. Das Problem ist auch, dass die Diagnose in solchen Fällen oft zu spät kommt. Man isst die Pilzmahlzeit und einige Stunden später kommt es dann zu Erbrechen oder Durchfall, aber das geht schnell wieder vorbei. Erst nach zwei Tagen beginnt dann die Zerstörung der Leber. Das Pilzgift kursiert im Blutkreislauf und wird immer wieder in die Leber eingeschleppt. Und dann muss man oft schon sehen, dass man eine Spenderleber organisiert.
SPIEGEL: Was sollte man tun, wenn man als Sammler fürchtet, sich vergiftet zu haben?
Fischer: Zuerst im Krankenhaus oder im Giftinformationszentrum anrufen. Wenn es ganz akut ist, sollte man den Notruf wählen. Dann sollte man auch andere informieren, mit denen man die verdächtige Mahlzeit geteilt hat. Ein eventuell angefertigtes Foto ist von sehr großer Nützlichkeit. Wichtig ist außerdem, die Putz- und Speisereste zusammenzusuchen. Nur so kann man Gewissheit bekommen, womit man sich möglicherweise vergiftet hat.